Neuroplastizität: Unterschied zwischen den Versionen
Aus phys-med
Daniel (Diskussion | Beiträge) KKeine Bearbeitungszusammenfassung |
Daniel (Diskussion | Beiträge) |
||
(9 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
== Grundlagen == | |||
* historisch: Lokalisations-/Irreversibilitätslehre (Broca, Brodman) | |||
* Plastizität: Fähigkeit, auf funktionelle/morpholigische Veränderungen modifizierte Organisationsstrukturen zu entwickeln | |||
* auch erwachsenes Gehirn in jedem Alter zu plastischen Anpassungsprozessen imstande | * auch erwachsenes Gehirn in jedem Alter zu plastischen Anpassungsprozessen imstande | ||
* '''Gebrauchsabhängige Plastizität''': vermehrter Gebrauch einer Extremität/Muskelgruppe (passive/aktive Beübung) ⇒ Vergrösserung der kortikalen Repräsentationen ⇒ Funktionsverbesserung | * '''Gebrauchsabhängige Plastizität''': vermehrter Gebrauch einer Extremität/Muskelgruppe (passive/aktive Beübung) ⇒ Vergrösserung der kortikalen Repräsentationen ⇒ Funktionsverbesserung | ||
* '''Läsionsinduzierte Plastizität''': Kompensationsfaktoren zur optimalen Ausnutzung der intakt gebliebenen Strukturen ⇒ z.B. Vergrösserung der kortikalen Repräsentation von Muskeln proximal einer Amputation | * '''Läsionsinduzierte Plastizität''': Kompensationsfaktoren zur optimalen Ausnutzung der intakt gebliebenen Strukturen ⇒ z.B. Vergrösserung der kortikalen Repräsentation von Muskeln proximal einer Amputation | ||
* '''Therapieinduzierte Plastizität''': Vergrösserung der Repräsentationsareale durch Aufnahme einer physiotherapeutischen Behandlung sowie eine Verschiebung des Arealschwerpunktes, auch nach mehr als zwölf Monaten noch signifikante, therapeutisch induzierte Leistungsverbesserungen nachweisbar | * '''Therapieinduzierte Plastizität''': Vergrösserung der Repräsentationsareale durch Aufnahme einer physiotherapeutischen Behandlung sowie eine Verschiebung des Arealschwerpunktes, auch nach mehr als zwölf Monaten noch signifikante, therapeutisch induzierte Leistungsverbesserungen nachweisbar | ||
* '''Pharmakologische Förderung der Neuroplastizität''': | * '''Pharmakologische Förderung der Neuroplastizität''': | ||
** Amphetamine | ** Amphetamine: Einnahme unmittelbar vor intensiver Physiotherapie | ||
** L-Dopa retard (200 mg/d): motorisches Lernen | ** L-Dopa retard (200 mg/d): motorisches Lernen | ||
** Piracetam (4,8 g/d): bei Aphasie nachgewiesen | ** Piracetam (4,8 g/d): bei Aphasie nachgewiesen | ||
** SSRI: Antrieb, Stimmung, Mitarbeitsfähigkeit, motorische Lernleistung | ** SSRI: Antrieb, Stimmung, Mitarbeitsfähigkeit, motorische Lernleistung | ||
** Cave: Benzodiazepine → negativer Effekt auf Neuroplastizität und funktionelle Lernleistung | ** Cave: Benzodiazepine → negativer Effekt auf Neuroplastizität und funktionelle Lernleistung | ||
== Mechanismen (Konzepte) == | |||
* '''Vikariation''' (historisch): Übernahme gestörter Funktionen durch benachbarte Hirnareale | |||
* Funktionsübernahme durch andere motorische Areale ipsi-/kontralateral | |||
* '''Unmasking''': Aktivierung latenter/redundanter neuronaler Verschaltungen (intraareal, innerhalb Minuten) | |||
** morphologische Veränderungen definierter kortikaler Repräsentationsfelder | |||
** vermehrte Aktivierung der nicht betroffenen Hemisphäre | |||
** kortikale Repräsentation paretischer Bereiche kurz nach Schlaganfallereignis verkleinert, während rehabilitativer Förderung Expansion | |||
* '''Diaschisis''': Funktionsverlust eines von der primären Läsion weiter entfernt liegenden Hirnareals → Erholung möglich | |||
* '''Sprouting''': | |||
** kollaterale Axonsprossung aus benachbarten intakten Nervenzellen | |||
** Wiederherstellung axonaler und dendritischer Nervenendigungen (Aussprossung von Nervenendigungen) geschädigter Zellen | |||
*** im peripheren Nervensystem → Reinnervation, neue funktionelle Nervenverbindungen möglich | |||
*** im ZNS erschwert: | |||
**** Fehlen von "Leitschiene" (Schwann-Zellen) → aberrante synaptische Verbindungen | |||
**** Barriere durch Narbengewebe (Gliazellen, Astrozyten) | |||
**** unvollständige Remyelinisierung (Oligodendrozyten) | |||
**** inhibitorische Enzyme (Oligodendrozyten) | |||
* '''Synaptische Mechanismen''': | |||
** Neubildung von Synapsen im Rahmen des Sproutings | |||
** Mehrproduktion von Transmittern/Rezeptoren | |||
** '''Long-Term Potentiation (LTP)/long-term Depression (LTD)''': Verbesserung der Signalübertragung an Synapsen (synaptische Plastizität), stabilere strukturelle Verschaltungen → Unmasking | |||
* '''Neurogenese''': Neubildung von Nervenzellen aus neuralen Stammzellen | |||
* '''Enriched environment''': Anregung der Neuroplastizität durch Umgebungsbedingungen | |||
** soziale Interaktion | |||
** visuell/taktile/olfaktorische Stimulation | |||
** vielfältiges Materialangebot | |||
* '''Vigilanz''': Patient alert/motiviert/aktiv → Noradrenalin↑ (Locus coeruleus) | |||
[[Kategorie:Rehabilitation]] | |||
[[Kategorie:Neurologie]] |
Aktuelle Version vom 7. August 2012, 22:51 Uhr
Grundlagen
- historisch: Lokalisations-/Irreversibilitätslehre (Broca, Brodman)
- Plastizität: Fähigkeit, auf funktionelle/morpholigische Veränderungen modifizierte Organisationsstrukturen zu entwickeln
- auch erwachsenes Gehirn in jedem Alter zu plastischen Anpassungsprozessen imstande
- Gebrauchsabhängige Plastizität: vermehrter Gebrauch einer Extremität/Muskelgruppe (passive/aktive Beübung) ⇒ Vergrösserung der kortikalen Repräsentationen ⇒ Funktionsverbesserung
- Läsionsinduzierte Plastizität: Kompensationsfaktoren zur optimalen Ausnutzung der intakt gebliebenen Strukturen ⇒ z.B. Vergrösserung der kortikalen Repräsentation von Muskeln proximal einer Amputation
- Therapieinduzierte Plastizität: Vergrösserung der Repräsentationsareale durch Aufnahme einer physiotherapeutischen Behandlung sowie eine Verschiebung des Arealschwerpunktes, auch nach mehr als zwölf Monaten noch signifikante, therapeutisch induzierte Leistungsverbesserungen nachweisbar
- Pharmakologische Förderung der Neuroplastizität:
- Amphetamine: Einnahme unmittelbar vor intensiver Physiotherapie
- L-Dopa retard (200 mg/d): motorisches Lernen
- Piracetam (4,8 g/d): bei Aphasie nachgewiesen
- SSRI: Antrieb, Stimmung, Mitarbeitsfähigkeit, motorische Lernleistung
- Cave: Benzodiazepine → negativer Effekt auf Neuroplastizität und funktionelle Lernleistung
Mechanismen (Konzepte)
- Vikariation (historisch): Übernahme gestörter Funktionen durch benachbarte Hirnareale
- Funktionsübernahme durch andere motorische Areale ipsi-/kontralateral
- Unmasking: Aktivierung latenter/redundanter neuronaler Verschaltungen (intraareal, innerhalb Minuten)
- morphologische Veränderungen definierter kortikaler Repräsentationsfelder
- vermehrte Aktivierung der nicht betroffenen Hemisphäre
- kortikale Repräsentation paretischer Bereiche kurz nach Schlaganfallereignis verkleinert, während rehabilitativer Förderung Expansion
- Diaschisis: Funktionsverlust eines von der primären Läsion weiter entfernt liegenden Hirnareals → Erholung möglich
- Sprouting:
- kollaterale Axonsprossung aus benachbarten intakten Nervenzellen
- Wiederherstellung axonaler und dendritischer Nervenendigungen (Aussprossung von Nervenendigungen) geschädigter Zellen
- im peripheren Nervensystem → Reinnervation, neue funktionelle Nervenverbindungen möglich
- im ZNS erschwert:
- Fehlen von "Leitschiene" (Schwann-Zellen) → aberrante synaptische Verbindungen
- Barriere durch Narbengewebe (Gliazellen, Astrozyten)
- unvollständige Remyelinisierung (Oligodendrozyten)
- inhibitorische Enzyme (Oligodendrozyten)
- Synaptische Mechanismen:
- Neubildung von Synapsen im Rahmen des Sproutings
- Mehrproduktion von Transmittern/Rezeptoren
- Long-Term Potentiation (LTP)/long-term Depression (LTD): Verbesserung der Signalübertragung an Synapsen (synaptische Plastizität), stabilere strukturelle Verschaltungen → Unmasking
- Neurogenese: Neubildung von Nervenzellen aus neuralen Stammzellen
- Enriched environment: Anregung der Neuroplastizität durch Umgebungsbedingungen
- soziale Interaktion
- visuell/taktile/olfaktorische Stimulation
- vielfältiges Materialangebot
- Vigilanz: Patient alert/motiviert/aktiv → Noradrenalin↑ (Locus coeruleus)